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Politik Probierä: Ukrainekrieg & Waffenlieferungen

  • Writer: ninalurman
    ninalurman
  • Mar 10, 2023
  • 8 min read

Updated: Mar 11, 2023

In der Rubrik “Politik Probierä” setze ich mich mit einem bestimmten politischen Thema auseinander und versuche, es mir selbst - und gleichzeitig euch - zu erklären. Disclaimer: Es wird natürlich auch dieses Mal keine objektive Erklärung, da auch meine eigenen politischen Gedanken und Haltungen einfliessen.



Heute wage ich mich an ein sehr kontroverses Thema, nämlich an den Krieg in der Ukraine und die Frage nach den Waffenlieferungen. Vor der Pause haben wir die Rede der Tierrechtsgruppe Zürich an der Friedensdemo vom 25. Februar in Zürich gehört, welche sehr eindeutig Stellung bezieht gegen Waffenlieferungen und auch gegen Sanktionen - und da gibt es aus meiner Perspektive noch einiges zu ergänzen.



Um es gleich klarzustellen: Ich selbst bin zwar nicht grundsätzlich gegen Sanktionen und auch nicht unbedingt gegen jegliche Form der militärischen Unterstützung, z.b. in Form von Abwehrsystemen, aber ich bin 100% gegen die Eskalation von Waffenlieferungen und für eine Friedensinitiative in Form von Verhandlungen. Eine solche wird in letzter Zeit immer mehr gefordert, nicht nur vom brasilianischen Präsidenten Lula und vom Papst, sondern u.a. auch von der deutschen Linkenpolitikerin Sarah Wagenknecht. Diese hat vor Kurzem, zusammen mit der bekannten Feministin Alice Schwarzer, eine entsprechende Petition gestartet - das “Manifest für den Frieden” - welches bereits von über 700’000 Menschen unterzeichnet wurde. https://www.change.org/p/manifest-für-frieden


Der Druck nach einer Friedenslösung wächst also, auch wenn momentan noch ein ganz anderer Diskurs die öffentlich-rechtlichen Medien beherrscht. Obwohl Umfragen ergeben haben*, dass 56% der Deutschen gegen die Lieferung von Kampfjets sind, und dass sich ganze 63% von ihnen einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für Verhandlungen wünschen - bleibt diese Meinung in den Medien extrem unterrepräsentiert. Vertreter:innen dieser Position, wie Sarah Wagenknecht, stehen in den Talkshows meist alleine da - sie werden beleidigt, diffamiert und entweder als “Lumpenpazifisten”, “Friedenschschwurbler” oder als “Putin-Versteher” abgestempelt. *https://www.tagesspiegel.de/politik/umfrage-mehrheit-sieht-deutsche-kriegsbeteiligung-in-der-ukraine-9413879.html


Doch wie kam es zu dieser Verhärtung der Fronten, und zu dieser unverhältnismässigen Repräsentation der einen Seite?


Nun, um das zu verstehen, muss man sich mit der Vorgeschichte dieses Konflikts beschäftigen. Dieser hat nämlich nicht erst letztes Jahr damit begonnen, dass Russland letztes Jahr “einfach so” in die Ukraine einmarschiert ist, sondern - wie auch der NATO Generalsekretär Jens Stoltenberg richtig bemerkt hat - spätestens 2014 mit der Maidan Revolution in der Ukraine.


Damals war noch nicht Selenski Präsident, sondern Viktor Janukowitsch, der für seine autoritäre und korrupte Regierung bekannt war. Tatsächlich war Janukowitsch bereits 2004, im Zuge der Orangenen Revolution abgesetzt worden, hatte sich aber wieder etabliert und erfreute sich 2014 grosser Beliebtheit bei den Ukrainer:innen - trotz oder gerade wegen seiner Nähe zu Russland. Man muss nämlich wissen, dass die Ukraine schon lange ein gespaltenes Land ist: Dort leben (neben anderen Ethnien) nämlich auch ca. 22% Russ:innen, v.a. im sog. Donbass, sowie viele russischsprachige Ukrainer:innen.


Die Ukraine war also schon 2014 gespalten zwischen einem pro-westlichen und einem pro-russischen Lager. Die einen wollten der EU beitreten, die anderen fühlten sich Russland mehr verbunden - und Präsident Janukowitsch musste es beiden Lagern recht machen. Dabei geriet er immer mehr unter Druck, weil sowohl Putin als auch der Westen – v.a. die NATO-Staaten - ein Interesse an der Ukraine hatten und diese nicht an die jeweils andere “Grossmacht“ verlieren wollten.


Als 2014 dann ein wichtiger EU-Deal im Raum stand, musste Janukowitsch sich zwischen den beiden Lagern entscheiden – und er entschied sich für Putin, indem er den Deal ablehnte. Dies löste Proteste der pro-westlichen Ukrainer:innen aus, eben die erwähnten Maidan-Proteste, welche wiederum zur Absetzung von Janukowitsch führten.


Die Tierrechtsgruppe Zürich bezeichnet diese Absetzung als einen “neoliberalen Putsch” - ich selber würde es etwas differenzierter betrachten. Zwar verfolgt der Westen tatsächlich seit Langem eine neoliberale Politik, mit der wir uns auch schon beschäftigt haben, aber das ändert nichts an der Tatsache dass viele Ukrainer:innen sich einen EU-Beitritt wünschten und auch allen Grund hatten, gegen den autoritären Janukowitsch auf die Strasse zu gehen.

Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle auf etwas hinweisen, das sich nicht von der Hand weisen lässt: Nämlich die Einmischung der USA in die Maidan-Proteste. Diese lässt sich bereits erahnen, wenn man an die Berichterstattung denkt: Uns hier im Westen wurde das Ganze nämlich, ziemlich einheitlich, als Volksaufstand bzw. als „Revolution“ präsentiert, welche von der gesamten ukrainischen Bevölkerung mitgetragen wurde. Ich selber war daher recht erstaunt, als ich erfuhr, dass scheinbar weniger als die Hälfte der Ukrainer:innen hinter den Protesten stand* – und dass dort gewisse Gruppierungen mitwirkten, die alles andere als sympathisch sind. *https://jacobin.com/2022/02/maidan-protests-neo-nazis-russia-nato-crimea


Die Tierrechtsgruppe Zürich spricht in ihrer Rede von “Faschistischen Schlägertrupps", und tatsächlich ist diese Bezeichnung ziemlich treffend: Die Bewegung war nämlich alles andere als friedlich – spätestens nachdem das Regime mit aller Härte gegen die Protestierenden vorgegangen war, schlugen sie zurück und griffen dabei selber nach den Waffen. Eine wichtige Rolle dabei spielten die Mitglieder der neofaschistischen Swoboda-Partei, welche in den vergangenen Jahren erstarkt war und nun all ihre Ressourcen nutzte, um militante Mitglieder in die Proteste einzuschleusen.


Die Swoboda-Partei, muss man wissen, hiess früher “Nationalsozialistische Partei der Ukraine” - kein Witz - und ist z.B. dafür bekannt, dass gewisse Politiker Joseph Goebbels verehren oder die Ukrainische Regierung als „jüdischen Mafia“ bezeichnen. Neben der Swoboda-Partei war auch der sog. “Rechte Sektor” massgeblich an der Gewalt bei den Protesten beteiligt; eine Kollaboration von rechtsextremen Aktivisten, deren Vorgänger schon während des Zweiten Weltkriegs mit den Nazis kollaboriert hatten* und die u.a. den Antisemiten Stephan Bandera verehren.



Doch wieso waren jetzt diese “faschistischen Schlägertrupps” an den Maidan-Protesten beteiligt – wenn doch Faschist:innen eigentlich gegen Demokratie und nur selten Freunde der EU sind?


Nun, es war eine Opportunity, also eine einmalige Gelegenheit für sie, an Einfluss zu gewinnen und sich die Unterstützung des Westens zu sichern. Diese Unterstützung wurde spätestens dann klar, als sich die US-Senatoren John McCain und Chris Murphy in aller Öffentlichkeit mit Anführern der Swoboda-Partei präsentierten, um Schulter an Schulter ihre Unterstützung der Proteste zu deklarieren. Wenn es also um “Demokratieförderung” geht, wie die USA ihre Einsätze im Ausland gerne beschreiben, spricht scheinbar nichts gegen den Schulterschluss mit Faschisten.


Schlussendlich kann man sagen: Es ist unklar, wie sehr bzw. in welchem Ausmass die USA den Ausgang dieser Proteste geprägt hat - aber sie hatten definitiv ihre Finger im Spiel. Das zeigte u.a. auch die finanzielle Unterstützung für Organisationen wie 'New Citizen', die massgeblich an den Protesten beteiligt waren – sowie ein geleaktes Telefonat zwischen der damaligen US-Staatssekretärin Victoria Nuland mit dem ukrainischen Botschafter.


Wir halten also fest: Schon bei den Maidan-Protesten 2014 „schwelte“ dieser Krieg, und es ging dabei um mehr als nur Russland und die Ukraine. Mit der Unterstützung des Westens und der Faschisten war die Bewegung so erfolgreich – und so gewalttätig - geworden, dass die Polizei schließlich kapitulierte und Janukowitsch fliehen musste. Daraufhin wurde eine Übergangsregierung, ganz im Sinne der USA, installiert – und der von Janukowitsch abgelehnte EU-Deal wurde doch noch unterzeichnet. Ein Punkt also für den Westen.


Doch Putins Reaktion liess nicht lange auf sich warten: Kurz nach den Maidan-Protesten annektierte Russland die ukrainische Halbinsel Krim und rechtfertigte dies mit einem dubiosen Referendum. Derweil wurde auch im Nordosten der Ukraine weiter mobilisiert; dort - in der Region um Donezk und Lugansk - kämpften schon länger russische Separatisten für ihre Unabhängigkeit, und diese rüsteten nun auf. Es gab bewaffnete Aufstände, woraufhin die ukrainische Regierung Truppen schickte, um diesen niederzuschlagen. Moskau schickte ebenfalls Truppen, um die Landsleute im Donbass zu unterstützen - und seither tobt dort ein blutiger Bürgerkrieg.


Tatsächlich sind zwischen 2014 und 2021 über 11’000 Kämpfer und 4’000 Zivilist:innen bei Gefechten im Donbass ums Leben gekommen. Jegliche Versuche, mit Friedensgesprächen und dem Minsker Abkommen einen Waffenstillstand zu erreichen, sind gescheitert – nicht zuletzt wegen der USA, die bereits seit 2014 Waffen an die Ukraine liefert und Soldaten ausbildet.

...


Wieso ist es also wichtig, diese Vorgeschichte zu kennen?


Nun, meiner Meinung nach veranschaulicht sie sehr deutlich, wo die Ursachen dieses Konflikts liegen – und v.a. inwiefern wir als Westen da mit drin stecken. Und dass wir mit drin stecken, sollte klar sein, nicht nur wegen der militärischen Unterstützung, sondern auch – uns insbesondere! - wegen der wirtschaftlichen Sanktionen. Ganze 14'000* sind es, die der Westen gegen Russland verhängt hat – so viel wie gegen kein anderes Land – und so geschlossen wie nie zuvor.


Natürlich sind Sanktionen erstmal gut und richtig, um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu „bestrafen“, aber in diesem Fall muss man sich das Verhältnis vor Augen halten: Russland hat ein Bruttoinlandsprodukt von 1,5 Billionen USD, während das der USA 21 Billionen beträgt. D.h., wirtschaftlich gesehen sind die USA allein ganze vierzehnmal stärker als Russland – und wenn man jetzt noch die grossen EU-Länder dazu zählt, kommt man auf ein Verhältnis von dreissig zu eins!* Russland wird also nicht nur bestraft, sondern von einem 30x stärkeren Bündnis wirtschaftlich komplett isoliert. Ganz unabhängig davon, ob das Putin nun „verdient“ hat oder nicht, muss man sich bewusst machen, was das für eine Atommacht bedeutet... *https://www.youtube.com/watch?v=n5a-l60-DSc


Mein Punkt ist: Wir können die Beteiligung des Westens an diesem Konflikt nicht ignorieren, egal wie oft wir Putin mit Hitler vergleichen und die geopolitischen Interessen der USA als Verschwörungstheorie framen. Auch wenn Russland in diesem Krieg klar der Aggressor ist - und es das klar zu verurteilen gilt – gäbe es doch keinen Krieg ohne die USA, weil die Ukraine ohne deren Unterstützung schon längst verloren hätte. Und der USA geht es nicht um Demokratie oder um Nächstenliebe – das haben sie oft genug bewiesen – sondern schlussendlich um ihre Geschäfte mit der Rüstungsindustrie, dem IWF und darum, die eigene geopolitische Dominanzstellung zu bewahren.


Als mir das bewusst geworden ist, fing ich auch an, ein gewisses “Muster” im öffentlichen Diskurs zu sehen; ein Narrativ, das man u.U. auch als Propaganda bezeichnen könnte. Wir sollen die Situation möglichst schwarzweiss sehen: Das grosse, böse Russland überfällt die arme, kleine Ukraine, und wir müssen die Opfer mit allen Mitteln unterstützen – nicht zuletzt um „unsere“ demokratischen Werte zu verteidigen. In wie viele kleine, hilflose Länder die USA bereits einmarschiert sind - ohne das wir etwas dagegen getan hätten - bleibt dabei unerwähnt, ebenso wie die Verbrechen der NATO, z.B. im Kosovokrieg von 1999.


Bei diesem Narrativ wird bewusst ein Feindbild geschaffen, nämlich Putin, und es wird so getan an sei die Ukraine die einzige Gegenseite. Was wir dabei alle vergessen sollen, ist, dass hier eigentlich ein Konflikt zwischen zwei Grossmächten ausgetragen wird - und zwar auf dem Rücken der Ukrainer:innen. Statt ihnen zu helfen, lassen wir genau sie ins Messer laufen lassen, wenn wir diesen Krieg weiter mit Waffenlieferungen schüren und ihn nicht so schnell wie möglich – mit Verhandlungen - beenden.


Es heisst zwar immer, mit Putin könne man nicht verhandeln, aber ich persönlich bezweifle das. Zum einen hat es ja bereits Verhandlungen gegeben, z.B. Im letzten Frühjahr unter der Vermittlung des damaligen israelischen Premierministers Naftali Bennet. Diese hätten auch beinahe zu einem Waffenstillstand geführt, wenn der Westen sie nicht grundsätzlich blockiert hätte* – und es finden immer wieder Verhandlungen zu Getreideabkommen oder Gefangenenaustauschen statt. Zum anderen hat ja Putin ein Interesse daran, dass die Situation nicht eskaliert, denn früher oder später kommt auch er nicht mehr gegen das westliche Bündnis an - und dann bleibt ihm nur noch die Atomwaffe. *https://www.youtube.com/watch?v=qK9tLDeWBzs


Ich kann nicht beurteilen, ob Verhandlungen wirklich möglich sind – zumal die Ukraine diese ja sogar per Dekret verboten hat* und nicht ebenfalls nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen. Eins kann ich aber sagen: Solange wir es nicht zumindest versucht haben mit den Verhandlungen, werden wir es auch nicht wissen. Statt weiteren Sanktionen und Waffenlieferungen braucht es jetzt eine westliche Initiative, die sich nicht nur als Vermittler anbietet sondern Druck auf beide Parteien ausübt - so viel wie nötig - bis sich diese an einen Tisch setzen und verhandeln. *https://www.tagesspiegel.de/politik/per-dekret-von-selenskyj-ukraine-verbietet-gesprache-mit-putin-8711455.html


Denn jeder Kompromiss, bei dem die Ukraine ein souveräner Staat bleibt, ist besser, als dass - vielleicht noch jahrelang - weiterhin sinnlos Menschen für diesen Krieg sterben.

...


Das wars für heute mit “Politik Probierä”, ich bin Nina und ich freue mich auf euer Feedback unter tierrechtsradio@gmail.com.



 
 
 

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