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Politik Probierä: Anarcho-Kommunismus

Rubrik von Nina aus der Sendung "Tierrechtsradio" vom 10.6.23-


Wenn ihr den Teaser zu diesem Beitrag gehört habt, wisst ihr schon Bescheid über Karl, den Kommunisten, und Michail, den Anarchisten - die beiden Sklaven, die sich beide befreien wollten, aber mit ganz unterschiedlichen Mitteln. Ich habe dort nämlich das Kapitel 8 aus dem Buch “Anarchie!” von Horst Stowasser vorgelesen, welches “Kritik am Kommunismus” heisst und anhand dieser zwei Charaktere den Unterschied zwischen Kommunismus, oder sagen wir Marxismus, und eben Anarchismus beschreibt.



Der Sklave Karl, dessen Namen natürlich an den grossen Philosophen Karl Marx anlehnt, will die Befreiung auf eine sehr strukturierte, geplante Art und Weise umsetzen. Sein “Plan” basiert auf einer Reihe logischer Erkenntnisse, einer ganzen Erkenntnistheorie, könnte man sagen, die er sich jahrelang mühsam erarbeitet hat. Für ihn ist klar: Die Sklaven werden sich irgendwann befreien, das ist quasi Naturgesetz, und es braucht kluge Sklaven wie ihn, um den anderen Sklaven zu erklären, wie sie sich nach dieser Revolution verhalten sollten.


Schliesslich sollten die Sklaven dann auch an der Macht bleiben.


Karl will also vorbereitet sein und gründet darum die “Partei der Sklaven”. Darin werden eben all jenen gebildeten Sklaven vertreten sein, er nennt sie auch die “Avantgarde”, und diese sollen nach der Revolution die Macht übernehmen. Das heisst, sie wären dann die einzige Partei in der Regierung - ein bisschen einseitig, aber das machte nichts, weil sie ja selber ehemalige Sklaven waren und darum ihre neuen Staatsbürger am besten repräsentierten. Ausserdem, meinte Karl, würde die Avantgarde nur so lange regieren, bis die anderen ehemaligen Sklaven keine Regierung mehr brauchten.


Diesen “Zustand” nannte er Kommunismus; die egalitäre Gesellschaft.


Kommen wir nun zu Michail, dem anderen Sklaven in der Geschichte. Sein Name ist angelehnt an Michail Bakunin, einen russischen Revolutionären und Anarchisten. Michail der Sklave will ebenfalls die Befreiung der Sklaven, und auch er wünscht sich die egalitäre Gesellschaft - aber er hat ganz andere Vorstellungen von der Umsetzung dieses Plans. Allgemein ist er nicht so der Fan von Plänen; er ist mehr für spontane und direkte Aktion, bei der der Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Michail ist gegen jede Form von Herrschaft, darum will er auch nach der Revolution keinen Staat - und er misstraut Karls Plan von der Ein-Partei-Regierung.


Seine ideale Gesellschaft ist die Anarchie, die Herrschaftslose.


Am Ende von Horst Stowassers “Kritik am Kommunismus”, Zitat, “stampft Karl zornig mit dem Fuss auf, Michail rauft sich die Haare, und beide gehen zornig auseinander - der ewige Konflikt zwischen Marxisten und Anarchisten ist entbrannt. Spätestens seit dem Spanischen Bürgerkrieg sind die beiden auf Kriegsfuss miteinander; Karl hat Michael verraten, obwohl sie gemeinsam an der Front gegen die Faschisten kämpften. Obwohl sie beide im Grunde dasselbe wollen - die klassen- und herrschaftslose Gesellschaft - und obwohl sie gemeinsam einen grossen Einfluss haben könnten, haben sie es danach gefühlt nie wieder geschafft, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen.


Ich persönlich finde das schade, bzw. ich würde es gerne ändern, und möchte darum an dieser Stelle noch ein paar Gedanken dazu ausführen. Wie könnten Karl und Michail von heute sich begegnen und was bräuchte es von beiden Seiten für Kompromisse, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen?


Zunächst: Sklave Karl, bzw. Marx, kommt im Text von Horst Stowasser nicht allzu gut weg - kein Wunder, denn der Text heisst ja auch “Kritik am Kommunismus”. Insofern war die Einführung zu diesem Beitrag alles andere als neutral, und auch ich bin es nicht - das muss hier aus Transparenzgründen betont werden. Ich habe mich immer mehr als Anarchistin identifiziert - v.a. wohl, weil ich schon als Kind Probleme mit Autorität hatte, auch wenn das keine sehr gute Begründung ist. Die Ideologie schien mir einfach schöner, befreiter, kreativer als die starren Strukturen des Marxismus - ich fand auch diesen Personenkult komisch und habe mich entsprechend nie mit Marx auseinandergesetzt.


Turns out: Das war ein grosser Fehler, und ich bin sehr froh, habe ich es in den letzten Jahren endlich getan. Auch wenn ich dadurch nicht zur Marxistin geworden bin, habe ich doch eins begriffen: Um Marx kommen wir nicht herum. Auch nicht die Anarchist:innen.


Mein erster Kompromiss-Vorschlag geht also raus an all die Anarchos* da draussen, und ich mache es jetzt extra etwas polemisch: Hört auf, so zu tun, als ständed ihr über all dem - über der Theorie und über der Analyse. Eure Utopie ist zwar wunderschön, aber ihr habt keinen Plan und auch keine Linie, auf die ihr euch als Grundlage berufen könntet. Natürlich gibt es gewisse Konzepte, und es gibt viele grosse anarchistische Denker:innen - aber sie alle haben unterschiedliche Vorstellungen von der Herrschaftslosigkeit und wie diese zu erreichen sei. Die einen sind für den bewaffneten Kampf, die anderen Pazifisten. Die einen fordern freie Liebe und grüne Wiesen, die anderen wollen Bomben werfen.. es gibt nicht “den” Anarchismus, und das ist auch in Ordnung so. Aber wenn man sich politisch organisieren will, braucht man eine Grundlage - ein Konzept.


Das Konzept muss natürlich gemeinsam erarbeitet werden; wir sollten auf keinen Fall das der Marxisten übernehmen. So ungern ich es sage, aber was daraus werden kann, hat die Geschichte gezeigt. Wir brauchen ein neues, gemeinsames Konzept - aber dazu gehört erstmal, die Grundlagen zu studieren. Also: Lest “Das Kapital”, liebe Anarchist:innen - ich schliesse mich selbst in diesen Aufruf ein - oder hört mindestens einen Podcast darüber;) Ich kann auch “Marx in 60min” von Dr. Walther Ziegler auf Youtube empfehlen…


Hauptsache ihr informiert euch, und dann geht’s los mit Vernetzen.


Mein zweiter Vorschlag geht an die Marxist:innen, und er fällt nicht weniger polemisch aus: Hört auf, so tun, als hättet ihr die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ja, Marx war wichtig und er bleibt es, aber auch er hatte nicht überall recht - und dass die Umsetzung seines Plans in Diktaturen endete, die Millionen von Menschenleben forderten, konnte er auch nicht verhindern. Natürlich waren die Regimes, die wir heute gemeinsam als “kommunistisch” bezeichnen - China, die Sowjetunion, die DDR - nicht wirklich kommunistisch - sie waren staatskapitalistisch - aber ihr wisst, was ich meine. Es waren trotzdem die Ideen von Marx und Engels, die da so pervertiert wurden - sich also scheinbar dazu eigneten. Also seid doch einmal gute Verlierer und sagt zu den Anarchisten: “OK, ihr hattet Recht.”


Und schaut in Zukunft, dass ihr genug Anarchist:innen in euren Kreisen habt, um zu verhindern, dass so ein Fehler wieder passiert ;)


Natürlich ist das alles jetzt SEHR stark vereinfacht, und mir ist bewusst, dass das alles nicht so schwarz und weiss. Es gibt bestimmt viele Anarchist:innen, die sich auch jetzt schon mit Marx befassen, und es gibt definitiv Marxist:innen, die auch “outside the box” denken und nicht mehr überall mit Marx einverstanden sind. Irgendwie scheinen sie einfach nicht in der Mehrheit zu sein… bzw. ich, als Aussenseiterin, sehe sie nicht.


Und ich sehe sie vor allem nicht zusammen kämpfen.


Allerdings sehe ich in letzter Zeit immer mehr Projekte, die mir Hoffnung machen, dass solch eine Zusammenarbeit in Zukunft wieder möglich werden kann. Das eine ist der Podcast “99 zu eins”, welcher auch einen Youtube-Channel betreibt, wo all ihre Interviews auch mit Bild veröffentlicht werden. Das Berliner Duo besteht aus zwei Jungs, Nadim und Daniel - der eine ist Marxist, der andere Anarchist. Sie bringen linke Theorie gekonnt und verständlich rüber, auch wenn man ein bisschen Vorwissen und Geduld braucht, um manche der Gäste zu verstehen. Auch wenn sie sich in gewissen Punkten klar uneinig sind, schaffen sie es, beide Position adäquat zu repräsentieren, sich der Kritik von aussen zu stellen und sich selbst immer wieder zu hinterfragen. So leisten sie wichtige Aufklärungsarbeit und zeigen, dass eine Zusammenarbeit möglich ist.


Das andere Projekt, das mir Hoffnung macht, ist der Youtuber und Twitch-Streamer Proletopia. Er identifiziert sich selbst weder als Marxist noch als Anarchist, vertritt aber klar linksradikale Werte und setzt dabei einen Fokus auf Kapitalismuskritik, welche wiederum ein Grundwert der beiden Strömungen ist und sie somit verbindet. Ausserdem diskutiert er auch gerne mal mit Leuten ausserhalb seiner politischen Bubble, eine Art Bühne für den politischen Austausch unter Arbeiter:innen bietet - auch nicht intellektuellen! - was gerade in marxistischen und anarchistischen Organisationen viel zu wenig stattfindet.


Jedenfalls zeigen diese zwei Projekte, dass es möglich ist; einerseits die Zusammenarbeit und andererseits die Kommunikation nach aussen, ohne sich festzulegen. Sowohl Marxisten als auch Anarchisten müssen, in einem allerersten Schritt, v.a. einmal zugänglich werden - auch für die Nicht-Studierten und Nicht-Szenis unter uns - denn wir wollen ja schliesslich eine Bewegung sein! Indem wir uns zuerst uns selbst öffnen, uns auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen, können wir uns auch allen anderen öffnen: Mit einer grossen, antikapitalistischen Bewegung, bei der auch die Klimakleber und die Veganer mitmachen dürfen.


Aber im Ernst: Gerade Tierrechtler:innen werden oft direkt über den Tierrechtsaktivismus politisiert und sind vorher nie mit linker Theorie konfrontiert worden. Gerade sie, oder viele von ihnen, könnte man ins Boot holen, indem man sie über den Kapitalismus aufklärt und ein Klassenbewusstsein schafft - ohne dass sie sich dabei zwischen Anarchismus und Marxismus entscheiden müssen.


Denn Soweit sind sie noch nicht, soweit sind die wenigsten von uns…


Darum lasst uns zum Schluss noch einmal festhalten: Nicht alle Marxisten sind Kommunisten, und auch nicht alle Anarchisten.. aber wenn du Kommunist bist, dann musst du auch Anarchist sein! Denn dein "Endziel" ist der Anarchismus, bzw. Leben ohne Staat. Die egalitäre Gesellschaft, der Kommunismus, ist herrschaftsfrei, ist Anarchie.


Dieser Text als Audiobeitrag:

Ganze Sendung "Tierrechtsradio" vom 10.6.2023:


Ich freue mich über Feedback unter tierrechtsradio@gmail.com.



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