Politik probierä: Links und Rechts aus linker Perspektive
- ninalurman
- Dec 14, 2022
- 8 min read
Updated: Jan 27, 2023
In dieser Rubrik probiere ich, Nina, Politik - das heisst, ich schaue mir jeweils ein bestimmtes, politisches Thema an und versuche, es zu erklären.

Politik probierä: Links und Rechts - aus linker Perspektive
Heute gehen wir einmal ganz an den Anfang zurück und versuchen, das politische Spektrum an sich zu erklären - was bedeutet eigentlich politisch “links” und politisch “rechts”? Vorweg: Es ist natürlich eine sehr komplexe Frage, und ich kann sie an dieser Stelle sicher nicht ohne eine gewisse Voreingenommenheit beantworten. Das ist aber auch gar nicht das Ziel. Mir geht es mehr darum, ein bisschen Ordnung in das Durcheinander zu bringen, welches mir im Zusammenhang mit diesen Begriffen im Alltag sehr oft begegnet - nicht zuletzt in der Tierrechtsszene. Ich halte es nämlich für wichtig, dass wir uns als Tierrechtsaktivist:innen klar positionieren, und dazu müssen wir erst einmal wissen, worum es eigentlich geht.
Was bedeutet also politisch links und politisch rechts?
Gemäss Wikipedia gehören zu der politischen Linken viele, “relativ breit gefächerte weltanschauliche Strömungen”, die zwar “mitunter weit voneinander entfernt” sein können, die aber alle von der Gleichheit der Menschen ausgehen. Man merke also: Wer glaubt, dass alle Menschen GLEICH sind - und sich dementsprechend gegen gesellschaftliche Hierarchien positioniert - ist links.
Die politische Rechte ist, auch gemäss Wikipedia, das genaue Gegenteil: Sie geht, ich zitiere “von einer Ungleichheit der Menschen aus und befürwortet oder akzeptiert daher eine gesellschaftliche Hierarchie.[1][2][3]” Wer also die Menschen für ungleich hält und sich für die entsprechenden Strukturen einsetzt, ist rechts.
Soweit, so gut. Das Problem ist jetzt, dass man diese Grundsätze ganz unterschiedlich definieren kann: Was bedeutet eigentlich “gleich”, und was versteht man unter Hierarchien? -- Im rechten Spektrum z.B. wird zwischen der “klassischen” und der “liberalen” Rechten unterschieden. Beide glauben an die Ungleichheit der Menschen, aber sie begründen sie komplett anders. Ein klassischer Rechter würde z.B. sagen, Menschen sind aufgrund von Erbfolge und Familientradition ungleich - also quasi ungleich geboren - während ein liberaler Rechter die Ungleichheit als Resultat eines “natürlichen” Wettbewerbs im Kapitalismus sieht. Die Ungleichheit ist also hier nicht angeboren, sondern in den Augen der Liberalen selbst verschuldet: Wenn jemand z.B. arm und demnach ungleich ist, ist er/sie selbst daran Schuld, weil er sich halt hätte wirtschaftlich behaupten müssen.
Insofern kann man eben nicht nur “sozial”, sondern auch wirtschaftlich rechts sein - und dafür steht der Liberalismus. Wieso dieser enorm wichtig ist, auch im Verständnis der politischen Linken, darauf gehen wir später noch ein.
Erstmal aber ein bisschen Geschichte:
Die Bezeichnungen “links” und “rechts” kommen ursprünglich aus der Zeit der Französischen Revolution und beziehen sich auf die Sitzordnung in den französischen Generalständen. Links sassen diejenigen, die gegen das Ancien Régime waren - gegen die Monarchie und für die Schaffung einer demokratischen Republik. Rechts sassen diejenigen, die an den alten Strukturen (oder eben Hierarchien) festhalten wollten - sowohl an der Monarchie als auch an der Vormacht der Kirche. Ende des 18. JH ging es den Linken also um Demokratie und Aufklärung, um die Befreiung der Bürger und Bürgerinnen.
Gleichzeitig mit dieser Emanzipation in der Form von Demokratien etablierte sich im 19. JH auch der Kapitalismus, wie wir das in der letzten Ausgabe dieser Rubrik aufgezeigt haben (als es um Kapitalismus und Nachhaltigkeit ging). Das ist wichtig zu betonen, weil wir uns oft nicht bewusst sind, dass der Kapitalismus damals noch etwas Neuartiges, ja fast schon Revolutionäres war nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch Monarchie und Kirche.
Allerdings wurde schnell klar, dass der Kapitalismus nicht das hielt, was er versprach: Zwar brachte er anfangs einen gewissen Wohlstand mit sich, aber davon profitierten v.a. jene, die bereits über Produktionsmittel verfügten - eben die Kapitalist:innen. Die Arbeiter:innen fanden sich sehr schnell wieder abhängig und ausgebeutet. So entstanden die klassischen linken Bewegungen, die alle im Zeichen der Kapitalismus-Kritik standen: Kommunismus, Anarchismus und Syndikalismus. Sie alle können grob unter dem Begriff “Sozialismus” zusammengefasst werden.
Sozialismus ist also ein Schlagwort für linke Politik, aber auch dieser Begriff muss natürlich ausgeführt werden. Einerseits unterscheiden sich z.B. Kommunismus und Anarchismus klar dadurch, welche Rolle sie dem Staat zugestehen - die Kommunist:innen wollten ihn als eine Art Ordnung-Organ vorübergehend beibehalten (also nach der Revolution), während die Anarchist:innen gegen jegliche Form der Machtkonzentration waren. Andererseits gab und gibt es in der Geschichte tatsächlich Systeme, die sich selbst als sozialistisch bezeichnen - wie z.B. die USSR, die DDR oder China - aber diese entsprechen nicht der ursprünglichen Definition des Wortes. Allein die Tatsache, dass sie sich durch Diktatoren und autoritäre Regimes auszeichnen, macht sie im Grunde alles andere als “links”.
Ihr merkt - es ist kompliziert. Aber gehen wir zurück zum Ursprung.
Wir haben gesagt: Links ist, wer glaubt, dass alle Menschen gleich sind und sich dementspr. gegen gesellschaftliche Hierarchien einsetzt. Dass diese Hierarchien existierten, zeigten die Krisen des 20. JH mehr denn je: Während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren verloren Millionen ihre Arbeit, weil die Weltwirtschaft kollabiert war - und das aufgrund von Spekulationen der Reichen und Mächtigen an der Börse. In ihrer Verzweiflung wählten die Menschen Faschisten, Diktatoren, welche wiederum neue Hierarchien etablierten.
Das alles führte dazu, dass allerdings auch die sozialistischen Bewegungen florierten; gerade nach dem Zweiten Weltkrieg war man sich allgemein einig, dass der Kapitalismus Schuld sei an Faschismus und Krieg. Immerhin waren die Unternehmer die einzigen, die vom Krieg finanziell profitierten - man musste schliesslich all das Kriegsgerät produzieren und verkaufen! - und das kam in der Bevölkerung gar nicht gut an. Die Arbeiter:innen waren stark und man war sich einig: Es braucht mehr Wohlfahrtsstaat, mehr Gewerkschaften - mehr Sozialismus halt. Und war wiederum den Kapitalisten ein Dorn im Auge.
…
Wir wollten ja noch über den Liberalismus reden - jetzt ist der Moment 🙂
Dass dieser ursprünglich eine rechte Ideologie ist, haben wir bereits gehört: Es geht um die Freiheit im Kapitalismus - bzw. um die selbstverschuldete Ungleichheit. Liberale haben sich immer schon “gegen den Staat” eingesetzt, weil dieser dem Markt Grenzen setzt und sie damit “weniger frei” macht, Handel nach ihrem Gusto zu betreiben.
“Markt gut, Staat schlecht” ist also das liberale Credo - und damit ist auch der Sozialstaat gemeint. Das heisst: Je mehr Freiheit die Unternehmen haben, je stärker der Markt ist, desto weniger Geld fliesst in Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime etc. Auch wenn wir Linke nicht immer gute Assoziationen mit dem Wort “Staat” haben, ist es doch Tatsache, dass dieser auch unsere sozialen Errungenschaften aufrecht erhält. Ohne Staat also auch keine Rente, keine AHV, keine IV, usw. Und natürlich keine Unterstützung für Kunst und Kultur.
Anyway: Liberale gibt es, seit es den Kapitalismus gibt. Ein allerdings neueres Phänomen, das sich erst um 1950 etablierte, ist der Neoliberalismus - und den wollen wir uns jetzt noch ein bisschen genauer anschauen. Zumal er quasi die dominante Ideologie ist heute, und sich unter den Neoliberalen sowohl Linke als auch Rechte finden.
Beim Neoliberalismus wird - wie auch beim klassischen Liberalismus - auch ein möglichst freier, “entfesselter” Markt angestrebt - aber mit dem Unterschied, dass hier der Staat eine aktive ordnungspolitische Rolle übernimmt. Das heisst, der Staat soll quasi die Ordnung im Wettbewerb bewahren. Dabei gibt es eine moderatere Form, den dtsen Neoliberalismus, und eine radikalere - die Chicagoer Schule nach Milton Friedman.
…
Doch was hat das jetzt alles mit der Geschichte zu tun?
Wie erwähnt war nach dem Zweiten Weltkrieg der Sozialismus “on the rise”, und die Kapitalist:innen machten sich Sorgen um ihr Ansehen. Sie hatten gut am Krieg verdient - und wollten diesen Wohlstand nicht wieder aufgeben. Es musste also eine neue Idee her, eine, bei der die Reichen reich bleiben - möglichst noch reicher werden - aber ohne dass man den Staat dabei abschaffen muss. So wurde der Neoliberalismus geboren und sein ewiges Mantra: Privatisierung, Steuersenkung und Sozialstaatsabbau.
Mit Hilfe dieser Mittel sollte der Kapitalismus den Menschen wieder schmackhaft gemacht werden. Milton Friedman gründete darum 1947, gemeinsam mit August Friedrich von Hayek die “Mont Pelerin Society” - die heute grösste neoliberale Denkfabrik der Welt, mit hunderten von Tochtergesellschaften und Mitgliedern aus den höchsten Rängen. Es hört sich nach Verschwörungstheorie an, aber es stimmt: Die “Mont Pelerin Society” war schon in den 80er Jahren so mächtig, dass 20 Schüler von Milton Friedman in Ronald Reagans Beraterstab sassen. Neben der US-amerikanischen Heritage Foundation ist auch das britische “Center for Policy Studies” Mitglied, mit als Gründerin Margaret Thatcher höchstpersönlich.
Ich kann euch nur “ZDF: Die Anstalt” vom 07.11.2017 ans Herz legen.
…
Jedenfalls hat es die “Mont Pelerin Society” geschafft, den Neoliberalismus in den letzten 70 Jahren durchzusetzen - und das ist eine grosse Errungenschaft für die Rechten. In den USA ist es ja schon lange so, dass man, zumindest wirtschaftspolitisch, zwischen Demokraten und Republikanern nicht mehr unterscheiden kann. Aber es springt einem auch ins Auge, wenn man z.B. nach Deutschland schaut: Dort vertritt die traditionell “linke” SPD eine extrem neoliberale Politik, wie Gerhard Schröder eindrücklich gezeigt hat. Für seinen grossflächigen Abbau des Sozialstaates wurde der ehemalige Bundeskanzler sogar von Milton Friedman persönlich gelobt, als ob die “MPS” da auch ihre Finger im Spiel gehabt hätte.
Die Grünen wiederum sehen sich selbst gerne als “noch linker” als die SPD, schliesslich sind sie aus der ur-linken Anti-Atomkraft-Bewegung entstanden und haben sich früher auch tatsächlich für gewisse linke Themen eingesetzt, wie z.B. Steuern für die Reichen oder die Abschaffung der Hartz-4-Sanktionen. Heute gehört das leider alles der Vergangenheit an: Spätestens seit sie ein offizieller Teil der Regierung sind, besteht ihre Politik scheinbar nur noch aus Kompromissen mit den Neoliberalen. Sie bezeichnen zwar ihre Aussenpolitik als “feministisch” und geben sich gern politisch korrekter als alle anderen, aber gleichzeitig sind sie für Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und machen Geschäfte mit den übelsten Ölscheichs. Man könnte diese Haltung auch als "linksliberal" bezeichnen.
Aber ist das nicht ein Widerspruch in sich, wenn Liberalismus eigentlich rechts ist?
Interessanterweise werfen die Rechten nicht so sehr mit dem Begriff “rechts” um sich wie die Linken - oder eben die Pseudolinken - mit dem Begriff “links”. Das liegt v.a. daran, dass sich die Bezeichnung “rechts” heute eher negativ konotiert ist - man assoziiert sie schnell mal mit Rechtsextremismus, mit Hitler und Nazis und so, und das will ja keiner. Auch gewisse linke Kreise neigen sehr dazu, jeden und jede als Nazi oder Querfrontler zu bezeichnen, der eine abweichende Meinung vertritt. Das ist insofern gefährlich - und spielt den wahren Rechten in die Hände - weil es nicht nur die Grenzen zwischen links und rechts verwischt, sondern auch den Diskurs verunmöglicht. Und das ist extrem schädlich für die Demokratie.
Mein Punkt ist: Niemand weiss mehr, was links und rechts ist, seit der Neoliberalismus Einzug gehalten hat. Die Rechten wollen nicht mehr als rechts bezeichnet werden und die Linken sind so arrogant und selbstgerecht geworden - so unsolidarisch! - dass man sie oft gar nicht mehr als Linke bezeichnen kann. Ich verstehe jeden, der sich angesichts dieser Absurdität selbst nicht mehr politisch einordnen möchte.
Trotzdem möchte ich zum Schluss dieser Rubrik noch folgendes loswerden:
Bitte, liebe Hörer:innen, liebe Tierrechtler:innen, liebe Aktivist:innen für Mensch und Umwelt, besinnt euch darauf, wie LINKS ihr seid! Es gibt nichts linkeres als als sich für die Gleichheit von unseren Mitwesen einzusetzen, nichts linkeres als Empathie und Solidarität zu empfinden für jene, die unterdrückt werden. Egal, was der Mainstream und die Parteipolitik euch erzählen: Lasst euch nicht einreden, dass ihr euch mit diesen Positionen identifizieren müsst, um euch als politisch links zu identifizieren. Denn um links zu sein braucht es heute wie gestern nur das, was auch vor 200 Jahren schon galt: Den Glauben an die Gleichheit aller und die Kritik an den herrschenden Machtstrukturen.
Und natürlich die Solidarität. Vielleicht schaffen wir es ja irgendwann, wir Linken - angesichts dieser traurigen Welt, dieser extrem gespaltenen Gesellschaft - wieder einmal ein bisschen solidarisch miteinander zu sein, statt uns immer nur gegenseitig zu verurteilen. Wie Viktor bereits sagte: Lasst uns den Menschen doch einfach mal zuhören! Dann merken wir vielleicht, dass sie gar nicht die “Feinde” sind, auf die wir uns konzentrieren sollten. Auch wenn sie manchmal nicht so belesen sind, wie wir, auch wenn sie manchmal die Situation falsch einschätzen oder die falschen Worte verwenden - lasst sie uns nicht gleich ausschliessen oder canceln.
Denn nur so - zusammen - können wir die Welt verändern. Und nur so können wir radikal sein und die Ursachen bekämpfen: Indem wir uns auf unsere Gleichheit besinnen und gemeinsam die Machtstrukturen überwinden. 🙂
Das war’s mit Politik Probierä - schreibt mir gerne Feedback auf tierrechtsradio@gmail.com!
Also Liberalismus ist etwas sehr vage formuliert gell!