Sendung vom 14.01.2023. Beitrag von @ninaj.lurman.
Kommen wir jetzt zu etwas sehr Beunruhigendem; nämlich der neuen Regierung in Israel/Palästina. Dort haben ja im letzten Sommer Wahlen stattgefunden, und Ende Jahr wurde nun die neue, ultra-rechte Regierung unter Präsident Benjamin Netanjahu vereidigt. Diese gilt jetzt schon als die rechteste Regierung in der Geschichte des Landes, v.a. wegen der Koalition um Itamar Ben Gvir - einem rechtsextremen und mehrfach wegen Rassismus und Hetze vorbestraften Abgeordneten. Ben Gvir ist Vorstand der Partei “Jüdische Stärke", wird neuer Minister für innere Sicherheit und somit auch Polizeichef werden. …
Aber von vorne: Seit der Vereidigung der neuen Regierung Ende letztes Jahr haben immer wieder Proteste, u.a. in Tel Aviv und Jerusalem stattgefunden. Gerade am letzten WE sollen bis zu 20’000 Menschen demonstriert haben, v.a. Linke Isrealis und Menschen aus der queeren Community. Diese machen sich grosse Sorgen über die neuen Reformen, die die Regierung bereits fleissig plant. Und nicht nur sie: Die israelische Botschafterin in Paris, Ja’el German, hat sogar noch am Tag der Vereidigung ihr Amt niedergelegt, weil sie in den geplanten Reformen, Zitat, “Gefahr für den demokratischen Charakter Israels und seiner Werte” sieht. Doch was sind das für Reformen?
Zum einen will Ben Gvir’s Partei noch in diesem Jahr ein Gesetz auf den Weg bringen, dass die Todesstrafe für Terroristen ermöglichen soll. Es ist auch ein Gesetz geplant, unter dem Dienstleistungen aus religiösen Gründen verweigert werden dürfen - ähnlich, wie es das bereits in den USA gab. Dort hatten vergleichbare Gesetze zur einer heftigen Diskriminierung von queeren Menschen geführt, weil so z.B. homosexuelle Paare in christlich-geführten Restaurants nicht mehr bedient werden mussten. Am kontroversesten ist aber wohl die geplante Justizreform, in deren Kern die sogenannte Override Clause steht - zu dts. ‘Überstimmungs-, Überwindungsklausel’. Diese würde es dem Parlament erlauben, im Grunde jedes Urteil des obersten Gerichts auszuhebeln. Mit ihr könnten also in Zukunft auch Gesetze umgesetzt werden, die gegen das Grundrecht verstossen - solange sich eine Mehrheit im Parlament dafür findet. Das muss man sich mal vorstellen.
Seit der Vereidigung der neuen Regierung ist also klar: Das ultrarechte Bündnis um Itamar Ben Gvir ist mit 14 Sitzen zur zweitgrössten Koalition im Israelischen Parlament geworden. Das Bündnis besteht aus 2 Parteien: Eine religiös-zionistische und eine ultranationalistische namens “Otzma Yehudit”, zu dts. eben jüdische Stärke oder Jüdische Macht, mit Ben Gvir als Vorsitzendem. Diese Partei will, muss man wissen, will - neben der Einführung der Todesstrafe für Terroristen und der Lockerung der Waffengesetze für Siedler:innen - auch einfach mal das gesamte Westjordanlandland annektieren, welches seit Jahren illegal von Israel besiedelt wird aber völkerrechtlich gesehen zu Palästina gehört.
Wie kam es zu diesem unglaublichen Rechtsrutsch?
Nun, es hat viel mit Benjamin Netanjahu zu tun. Dieser ist ja einer der einflussreichsten Politiker Israels, war ja schon mehrfach Ministerpräsident und wurde letztes Jahr - nicht zuletzt aufgrund eines Korruptionsskandals - aus der Knesset gewählt. Seither will er unbedingt zurück an die Macht, denn es droht ihm Gefängnis, sollte er wegen Korruption verurteilt werden - und als Regierungschef hat er Immunität., bzw. kann Gesetze zu seinen Gunsten ändern. Um dieses Ziel zu erreichen, waren ihm alle Mittel recht - eben auch die Kollaboration mit den Ultrarechten, die ursprünglich nicht seine Alliierten waren (auch wenn Netanyahu nach europäischen Standards schon sehr weit rechts anzusiedeln ist).
Itamar Ben Gvir kam also 2021 ins Parlament, noch bevor Netanyahu abgewählt wurde, und mit dessen tatkräftiger Unterstützung. Gvir - heute 46, Anwalt und eben Vorsitzender der Partei “Jüdische Stärke” - war schon lange als extreme politische Randfigur bekannt, seit er sich in den 80er Jahren als Mitglied der Kach Partei etablierte. Diese Partei war so extrem in ihren ultra-nationalistischen, religiösen Ansichten, dass sowohl die USA als auch Israel selbst sie 1988 als “terroristische Organisation” labelte und verbot.
Man muss sich das mal vorstellen: Der heutige Minister für nationale Sicherheit war früher Mitglied einer Bewegung, die “Rassentrennung” zwischen Juden und Arabern forderte und arabischen Israelis die Staatsbürgerschaft aberkennen wollte! In dem Kontext erstaunt es nicht, dass Ben Gvir tatsächlich nicht in der Israelischen Armee dienen durfte, weil seine Ansichten als “zu extrem” befunden wurden - und dass er jahrelang ein Portrait von Baruch Goldstein über seinem Pult hängen hatte.
Wer war Baruch Goldstein? Ach, nur ein israelischer Arzt und Siedler, der 1994 in Hebron 29 palästinensische Zivilist:innen ermordete, als sie in der Nähe seiner Siedlung in einer Moschee beteten. Ein Vorbild und Held also, gemäss Itamar Ben Gvir.
Aber zurück zu dessen Werdegang: Nach seiner Radikalisierung als Jugendlicher im beteiligte sich Ben Gvir weiter an rechtsextremem Aktivismus und wurde in der Folge über 50 Mal wegen Hassrede, Anstiftung zum Rassismus und Unterstützung von terroristischen Organisationen angeklagt. Verurteilt wurde er u.a. wegen eines Banners, auf dem “Araber raus” stand. Daraufhin studierte er Jura und machte sich ab 2012 als Anwalt einen Namen, v.a. mit der Verteidigung von jüdischen Siedler:innen im Westjordanland, die wegen Angriffen auf Palästinenser:innen angeklagt wurden. Er zog tatsächlich auch selbst nach Hebron, der grössten palästinensischen Stadt im Westjordanland, die seit Jahren in eine palästinensische und eine jüdische Zone aufgeteilt ist.
Es gibt übrigens von Jung&Naiv eine gute Folge zu Hebron, auf Youtube unter “Hebron, die Geisterstadt: Breaking the Silence”.
Neben seinem Wirken als Anwalt mischt sich Ben Gvir auch weiterhin in die Politik ein. Er bleibt aber auch als Parteivorsitzender eine Randfigur, ein Extremist und Agitator - bis 2021, als Netanyahu abgewählt wurde. Zu dem Zeitpunkt wurde zum ersten Mal eine unabhängige arabische Partei Teil der Israelischen Regierungskoalition - die Araber:innen machen ca. 20% der Bevölkerung aus. Damals kam also wenig Hoffnung kam auf, dass man demokratische Lösungen fürs Zusammenleben finden würde. Doch Ben Gvir und seine Rechtsextremen waren dagegen: Für sie war mit der Inklusion einer arabischen Partei der “jüdische Charakter” Israels in Gefahr und sie würden alles tun, um eine solche Demokratie zu verhindern.
Tatsächlich sah Ben Gvir sah mit dieser Entwicklung seine grosse Chance gekommen: Er wurde nun endlich “gebraucht” und gewann mit seiner Wahlkampagne letzten Sommer viele Stimmen, v.a. in der Siedler-Community - wo er ja als Anwalt bekannt war - sowie in der Armee und in der Polizei. Dort versprach man sich mit Immunität vor Strafverfolgung, was Übergriffe auf Palästinenser:innen betraf. Schlimmerweise haben auch viele junge Leute für ihn gestimmt; eine Generation - muss man daraus folgern - die nach den 90ern geboren und nie Friedensverhandlungen erlebt hat. Für sie, scheint es, die Israelische Besatzungspolitik zur Normalität geworden.
So zeigt die Ben Gvirs Entwicklung auch eine mehr als beunruhigende Entwicklung in der Israelischen Politik auf, einen Rechtsrutsch, der jetzt quasi in Stein gemeisselt ist. Auch wenn die erwähnten Reformen erstmal nur im Koalitionsvertrag stehen, und konkrete Gesetze erst noch ausgearbeitet werden müssen, ist allerhand Grund zur Sorge geboten, denn Gvir ist trotz neuem Mainstream-Fame alles andere als gemässigt. Zwar wird jetzt an seinen Veranstaltungen nicht mehr “Tod den Arabern”, sondern nur noch “Tod den Terroristen” skandiert, aber ansonsten blieb er seinen Ansichten treu.
- Und um diese Ansichten noch einmal zu veranschaulichen, möchte ich zum Schluss Inga Rogg zitieren, eine langjährige NZZ-Korrespondentin und Expertin für den Nahen Osten. Auf die Frage, ob Itamar Ben Gvir wirklich die gleiche Liga von “rechtsextrem” wie Marine Le Pen, Giorgia Meloni oder Viktor Orban sei, meinte sie im NZZ-Akzent, Zitat: “Ich würde einen Schritt weitergehen. Die rechtsradikalen Politiker in Europa hetzen gegen Migranten, gegen Flüchtlinge - Ben Gvir hetzt hier gegen die Araber, also 20% der Bevölkerung. Er hetzt gegen die eigenen Staatsbürger.”
Zitat Ende.
Ganz ehrlich: Ich finde es zum Schreien, dass nicht mehr darüber berichtet wird, was für ein Faschist - im wahrsten Sinne des Wortes - da gerade unter Benjamin Netanyahu an die Macht gekommen ist. Das hat mich auch motiviert, heute diesen Kommentar zu schreiben - denn gerade wir, als Tierrechtler:innen, sollten immer dort besonders hinhören, wo auch die Menschenrechte in Gefahr sind.
Meine Quellen waren v.a. Podcasts von The Guardian (Today in Focus), New York Times / The Daily und NZZ Akzent.
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