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"Avatar - The Way of Water" / Filmkritik

Ein Beitrag von Selin Kiendl aus der Radiosendung "Tierische Aspekte" (Radio Darmstadt).


Der Film "Avatar - The Way of Water" ist die Fortsetzung von dem ersten, vor 13 Jahren erschienenen Avatar-Film und läuft jetzt seit Dezember in den Kinos.


Ich habe mir den Film angeschaut und möchte dazu meine Gedanken, oder besser gesagt - meine Gefühle! - mit euch teilen.


Ich gehe sehr, sehr selten ins Kino und zuhause habe ich gar keinen Fernseher. “Avatar - The Way of Water" dauert über 3 Stunden. Trotzdem verging die Zeit wie im Flug, der Film ist spannend und an keiner einzigen Stelle langweilig gewesen. Im Gegenteil. Für alle, die den ersten Avatar nicht gesehen haben, darum geht's:


Die Menschen haben die Erde so weit ausgebeutet, dass sie sich nach einem neuen Planeten umschauen: Pandora. Dieser Planet erscheint wie das Paradies: unberührte Natur, wunderschöne fantastische Lebewesen, die im Einklang mit der Natur und in Frieden miteinander leben.


Und die Menschen machen das, was sie am besten können: sie fallen dort ein, bauen Rohstoffe ab. Und allen, die ihnen in die Quere kommen, begegnen sie mit Gewalt und versuchen, sie aus dem Weg zu schaffen.


Dabei verwenden sie sogenannte Avatare. Das sind mental gesteuerte, künstliche Körper, die in ihrem Erscheinungsbild aussehen, wie die der Ureinwohner Pandoras, die Na'vi. Mit Hilfe dieser Avatare können sie sich auf dem Planeten Pandora frei bewegen, denn Menschen können die Luft dort leider nicht atmen und nur kurzzeitig, mit speziellen Masken, dort überleben.


Die Na'vi sind uns Menschen ähnliche Wesen, doch sie leben vollkommen verbunden mit der Natur.


So kommt es dann, dass der Hauptdarsteller, Jake Sully, und die Einheimische Neytiri sich ineinander verlieben und mit ihrem Stamm gemeinsam gegen die menschliche Bedrohung kämpfen. Am Ende des Films wird ein vorübergehender Sieg über die Menschen erreicht. In der Fortführung von Avatar, im "Avatar, The Way of Water", haben Jake und Neytiri eine Familie gegründet. Doch die Menschen kommen zurück, und ganz besonders sind sie auf Rache aus.


Die Militärs möchten Jake Sully töten. Zunächst verlässt die Familie ihren Stamm, um sich zu verstecken. Sie sucht sich eine neue Heimat. Ein Stamm der Na'vi, der am und mit dem Wasser lebt, nimmt sie auf. Da die Menschen nicht aufgeben und sie dennoch aufspüren, kommt es zu einem Kampf.


Wenn ihr diese super kurze Beschreibung jetzt hört, dann hört sich das eigentlich erstmal nicht so sehr besonders an für einen Film. Jemand wird bedroht, flüchtet, kämpft.. Solche Filme gibt es Millionen. Dennoch unterscheidet sich dieser Film von den anderen in einem Punkt ganz besonders. Der Film macht betroffen.

Er hinterlässt ein tiefgehendes, unbehagliches Gefühl, bei manchen vielleicht so etwas wie Schuldbewusstsein, bei anderen Hilflosigkeit… aber auch Sehnsucht nach der Harmonie auf Pandora kann unter den Gefühlen dabei sein.


Denn auch wenn die Avatar-Filme Science Fiction sind, sie setzen uns Menschen einen Spiegel vor.

In Avatar erlebt man eine Utopie und gleichzeitig eine Dystopie parallel.


Pandora, der Planet, der unserer Erde so ähnlich ist: Es gibt Wasser und Luft, Pflanzen und Tiere, Lebewesen, die unseren irdischen Lebewesen stark ähneln. Doch hier leben sie im Einklang miteinander. Die Bilder unberührter, wunderschöner Fantasielandschaften, die wir in diesem Film zu sehen bekommen…. die könnten wir in ähnlicher Form auch auf unserer Erde sehen - wenn wir sie nicht bereits zerstört hätten.


Genau das ist es, was diesen Film so beklemmend macht: Die Erde ist im Film ausgebeutet, aber die Menschheit hat nichts daraus gelernt. Sie sucht sich einen neuen Planeten, um auch hier Zerstörung, Tod und Leiden zu bringen. Dabei sind viele der Militärs im Film blind für die Schönheit, blind für Gefühle anderer Lebewesen und blind dafür, dass alles miteinander zusammenhängt.


Und auch in echt ist unsere Natur auf der Erde größtenteils zerstört, und auch in echt gibt es bereits große Bestrebungen, einen weiteren, bewohnbaren oder nutzbaren Planeten zu finden. Und wir Menschen hier ziehen nicht die Reißleine, wir machen weiter und schaukeln unser eigenes Grab.


In vieler Hinsicht setzt der Film uns einen sehr schmerzhaften Spiegel auf.


Die Na'vi können über ein spezielles Organ eine Verbindung mit allen anderen Lebewesen auf Pandora eingehen. Diese Verbindung allen Lebens auf dem Planeten ist eine immer wieder vorkommende wichtige Säule in ihrem Ökosystem.


Mit ihrer Natur, die sie personifiziert Eywa nennen, reden sie und lassen alles nur im Einklang mit Eywa geschehen. Das ist die höchste Regel, das wichtigste im Leben der Na'vi, Eywa nicht zu verletzen und die Verbindung zu ihr nie zu verlieren.


Der Film führt uns so deutlich vor, dass wir genau das verloren haben. Die Verbindung zur Natur.


Wir Menschen haben anscheinend vergessen, dass die Natur nicht etwas ist, was uns umgibt, sondern wir selbst sind ein Teil der Natur. Und wenn wir die Verbindung zur Natur verloren haben, dann haben wir die Verbindung zu uns selbst verloren.


An einigen Stellen haben viele Menschen im Kino geweint. Eine solche Stelle möchte ich euch kurz vorstellen. Die Tulkun sind wohl die Meeresbewohner, die viele Kinobesucher*innen besonders emotional berührt haben. Sie ähneln unseren Walen, haben auf jeder Seite ihres Kopfes zwei warmherzige Augenpaare und einen super intelligenten Blick. Und sie sind auch genau das, nämlich sehr intelligent. Sie haben eine eigene Kultur und singen gerne, und haben sich mit dem Volk der Na'vi angefreundet. In einer Szene wird eine Mutter-Tulkun, die auch gleichzeitig den Schwarm anführt, mitsamt ihres Kindes durch die feindlichen Menschen von ihrer Familie getrennt. Um Jake Sully und seine Familie aus dem Versteck zu locken, greifen die Militärs die Tulkun an und töten die Mutter und ihr Kind. In dieser Szene haben viele Menschen im Kino geweint. Ich habe mich genau in dieser Szene umgeschaut und mich gefragt: Merkt ihr eigentlich den Zusammenhang?


Hier auf unserer Erde passiert tagtäglich das, worum es in Avatar geht. Die Natur wird ausgebeutet, Lebewesen grundlos abgeschlachtet, Ökosysteme missachtet, zerstört, für immer vernichtet. Doch da weint keiner. Ich frage mich, ob diese Menschen, die im Kino weinen, wenn eine fiktive Tulkun-Mutter stirbt, nächstes mal dran denken, wenn sie in einen Fischburger beißen? Oder wenn sie eine Thunfischpizza essen?


An dieser Stelle hatte ich das Bedürfnis, die Menschen im Kino zu fragen, wie sie sich eigentlich nach diesem Film fühlen. Ob sie weitermachen, wie bisher? Oder ob sie anfangen, unsere reale Welt aufzuhören zu zerstören? Ich habe tatsächlich kurz darüber nachgedacht, ob ich nach dem Film eine kleine Ansage machen soll. Allerdings hatte ich nach dem Film echt Herzklopfen. Ich glaube, ich hätte nichts Gescheites sagen können. Außerdem war ich mir gar nicht sicher, ob nur mich der Film berührt hat, weil genau das ja meine Themen sind - Naturzerstörung, sinnloses Töten anderer Lebewesen.


Aber als ich aus dem Kino raus ging, habe ich die Gesichter der anderen angeschaut und gemerkt, es geht ganz vielen so. Nachdenkliche, traurige Blicke überall. Und Gespräche, die genau darüber handeln, dass der Film ein Spiegel der Realität von unserem menschlichen Wesen ist..


Ich habe dann vor der Tür draußen doch noch eine Gruppe angesprochen, die auch gerade den Film geschaut hatte. Ein Mädchen sagte mir, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben im Kino geweint hätte und dass ich mit den Vergleichen recht hätte, sie mir aber gerade schlecht antworten kann, weil sie noch Herzrasen hätte und total neben sich stünde.


Später zuhause recherchierte ich noch im Internet. Tatsächlich berichteten schon 2010, nach dem Erscheinen des ersten Avatar-Films, Medien von dem sogenannten APDS, dem Avatar-Posttraumatischen-Depressions-Syndrom. Das ist natürlich kein medizinisch anerkannter Begriff, wird aber von weltweiten Medien verwendet, um die depressive Gefühlslage vieler Menschen zu beschreiben, das durch das Schauen des Films aufgetreten ist. Der Film kann starke Zukunftsängste auslösen, da wir ja unsere reale Welt tatsächlich bereits bis ans Limit ausgebeutet und größtenteils zerstört haben. Er kann auch dieses Verlorenheitsgefühl hervorbringen, dass wir die Verbindung zur Natur verloren haben und rastlos hinter von uns Menschen selbst erfundenen materiellen Dingen hinterher hasten, die uns niemals glücklich machen. Der Film kann die Sehnsucht nach einer Natur wecken, wir wir sie auf Pandora kennengelernt haben, und gleichzeitig Schuldgefühle hervorrufen, da wir so eine schöne Natur selbst gehabt haben hier auf unserer Erde, aber sie größtenteils bereits vernichtet haben…


Mich hat der Film traurig gemacht, trotzdem freue ich mich jetzt schon auf den 3. Teil, der ja bereits aktuell produziert wird.


Ich würde mich freuen, wenn umso mehr Menschen diesen Film anschauen und sich einfach anfangen, ihre Gedanken zu machen. Wollen wir immer weiter so machen, Lebewesen in den Tod reißen und die Natur missachten, bis auch wir selbst hier in absehbarer Zukunft nicht mehr überleben können?


Ich freue mich über jegliches Feedback, Anregungen oder Fragen, gerne an aspekte@radiodarmstaft.de.

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